Seit den 1920er-Jahren ist Berlin mit seinen inzwischen 170 Klubs für Homosexuelle der Sehnsuchtsort für LGBTQ+-Menschen. Abseits des Feierns entstehen hier auch einige politische Bündnisse, die sich für die Belange von Schwulen und Lesben einsetzen. Nachdem die Vielfalt durch die Nazis zerstört wurde, entwickelte Berlin sich über die Jahrzehnte wieder zur Weltmetropole der Szene. Gehen Sie im folgenden Artikel mit uns auf eine Reise durch die Jahrzehnte.
Wir schreiben das Jahr 1922 als sich mehrere Homosexuellenverbände zum Kampf gegen den § 175 zusammenschließen. Die Petition erreichte sechstausend Unterschriften namhafter Persönlichkeiten. Es dauerte sechs weitere Jahre, bis die zuständige Strafrechtskommission beschloss, § 175 zu reformieren. Doch dies scheiterte zunächst an der nachfolgenden Regierung.
Im Jahr 1925 gibt es 80 Homosexuellen-Lokale in Berlin. Großveranstaltungen werden in Schöneberger Sälen abgehalten.
Ab 1926 versammeln sich Frauen im „Damenclub Violetta“. Sie schließen sich 1928 mit dem „Damenclub Monbijou“ zusammen und beziehen auch Transmenschen mit ein. In Homosexuellen-Zeitungen annoncieren Hotels, Frisiersalons, Schneidereien, Foto-Ateliers, Anwälte, Vertrauensärzte, Büchereien, Reisebüros und weitere Unternehmen.
1928 erscheint ein Reiseführer: „Berlins lesbische Frauen“. Darin werden 12 Lokale aus Schöneberg beschrieben, darunter das beliebte „Dorian Gray“ in der Bülowstraße.
Christopher Isherwood kommt nach Berlin, es entstehen die „Berlin Storys“, die später Vorlage des Musicals „Cabaret“ werden sollten. Auch Sängerin Claire Waldoff wohnt nun ebenfalls in Berlin mit ihrer Partnerin.
1931
Das „Eldorado“ in Schöneberg ist der Touristenmagnet der Szene.
Nach der Wende der Regierungspolitik 1932 schließt es, weil sich in Berlin erste Lokalverbote abzeichnen.
1933
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten beginnt der Kampf gegen Homosexuelle. Das „Institut für Sexualwissenschaft“ wird geschlossen, ebenso 14 der bekanntesten Szene-Lokale. Die Homosexuellenverbände stellen ihre Arbeit ein. Auch Faschingsbälle im Berliner Tiergarten werden verboten. Besonders schlimm trifft es das Künstler-Lokal „Chez Eugen“, das von der SA überfallen wird. Die jüdischen Besitzer flüchten aus Deutschland.
1934 bis 1945
In dieser Zeit tarnen sich Lesben und Schwule und ziehen sich in die Privatheit zurück. Kurzzeitige Freiräume gibt es zwar, doch nahm 1934 die Verfolgung vor allem homosexueller Männer brutal Fahrt auf. 400 Berliner Männer verloren das Leben, andere verloren Freunde, Freiheit, Beruf, Vermögen und waren von gesellschaftlicher Ausgrenzung und sozialer Ächtung betroffen.
1946
Doch die Homosexuellen lassen sich nicht unterkriegen. In den Ruinen finden ab 1946 erste Bälle statt. Im Jahr 1949 zählt Berlin wieder über 20 Schwulen-Lokale und 15 Lesbenlokale, die neben Schutz und Geselligkeit neue Lebensträume und Lust auf die neue Freiheit vermitteln.
1950
In diesem Jahr gründet sich die „Berliner Gesellschaft für Reform des Sexualrechts“ und wird Teil einer Homophilenbewegung. Es kommt 1952 der „Verein der Freunde“ sowie 1958 der „Bund für Menschenrecht“ hinzu. Frauen treffen sich bei Ida Fürstenau, im „Cabaret“ sowie ab 1958 „Bei Kathi und Eva“ in Schöneberg.
1960er
In der Mitte der 1950er-Jahre kommt es erneut zu Razzien nach dem weiter bestehenden NS-Strafrecht. Die Homosexuellen-Vereine werden aufgelöst, aber die Szene in Westberlin behauptet sich. 1966 gibt es 28 Lokale.
1970er
Es entsteht eine neue Schwulen- und Lesbenbewegung. In Berlin wird 1971 die „Homosexuelle Aktion Westberlin“ gegründet, es folgen ein schwuler Buchladen und 1979 die erste „Gay Pride Parade“.
1980er
1985 eröffnen etliche autonome Freiräume. Engagement findet statt in Parteien, Kirchen und Gewerkschaften. Die Berliner Aids-Hilfe entsteht. Auch in Ost-Berlin engagieren sich Homosexuelle – der „Sonntagsclub“ entsteht.
1990er
Die Maueröffnung findet zeitgleich mit der Premiere des ersten schwulen Films der DDR statt. Die CSD-Paraden werden im wiedervereinigten Berlin größer, bunter, politischer und ausgelassener. Ab 1997 bis 2016 wird mit dem „Transgenialen CSD“ Alternative angeboten. Berlin feiert „100 Jahre Schwulenbewegung“ mit einer Ausstellung in der „Akademie der Künste“. 1999 entsteht der Lesben- und Schwulenverband.
2000er
seit Jahren umstrittene Diskussion um die „Homo-Ehe“ nimmt Fahrt auf und führt zur „eingetragenen Partnerschaft“, 2017 schließlich zu einer ganz normalen Ehe-Schließung. Die Berliner Standesämter haben Hochkonjunktur. Regenbogen-Farben und das Wort „queer“ werden zum Label der LGBTQ+-Bewegung. Die Rainbowflaggen werden auf Berliner Rathäusern gehisst. Es gibt inzwischen 150 Veranstaltungsorte für die Community. Das Dienstleistungs-, Einkaufs-, Vereins- und Unterhaltungsangebot umfasst ein Branchenbuch mit über 1000 Adressen.
Im September 2017 wird hinter dem Kanzleramt das Denkmal der Emanzipationsbewegung eingeweiht: Sechs Calla-Lilien (eine Pflanze mit weiblichen und männlichen Blüten zugleich) als Sinnbild für Vielfalt und Metapher für eine aufblühende Szene, wie sie schon in den 1920er-Jahren gedacht wurde.